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Advertorial

Keine Angst vor der Digitalisierung

Ein Leitfaden zur Anforderungsvermittlung bei der digitalen Transformation

von Stefan Riegels und Jesko Schneider
 

Ein strukturiertes Anforderungsmanagement hilft bei den Herausforderungen der digitalen Transformation

Unter dem Begriff „Digitalisierung“ verstehen wir einen Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft durch den Einsatz digitaler Technologien. Dieser Wandel, auch digitale Transformation genannt, ist für viele Unternehmen bereits überlebenswichtig geworden. Doch wie sollte man der Digitalisierung begegnen und was bedeutet das für individuelle Unternehmensstrategien?

Mit Eintritt in das asynchrone Internetzeitalter, in dem nicht mehr nur statische Informationen konsumiert werden und neue Technologien entstehen (Web 2.0), spätestens aber seit der darauf aufbauenden Digitalisierung ganzer Wertschöpfungsketten, werden die fachlichen Abläufe und Prozesse stetig komplexer; Es gibt immer unterschiedlichere Technologien und Schnittstellen zu Partnersystemen. Die Anzahl der beteiligten Stakeholder bei der Entwicklung der IT-Lösungen steigt. Schnittstellen und Stakeholder sind darauf angewiesen, dass die Ergebnisse all dieser unterschiedlichen fachlichen Abläufe nahtlos und in Echtzeit ausgetauscht werden können.

Dazu kommt, dass durch die schnellen Technologieentwicklungen und immer komplexeren Softwarelösungen die Lücke zwischen dem Anforderer („Business“) und dem Umsetzer („IT“) immer größer wird. Demnach fällt es den Anforderern der IT-Systeme immer schwerer, den technischen Hintergrund einer Softwarelösung nachzuvollziehen. Umgekehrt ist das Verständnis seitens der Umsetzer für die immer komplexer werdenden Geschäftsanwendungsfälle der Anforderer kaum gegeben. Dies führt oft zu einem teuren und sehr aufwändigen digitalen Wandel mit nur geringem Mehrwert für die Anwender und das Unternehmen. An dieser Stelle wird oft der CHAOS Report der Standish Group zitiert, wobei als Hauptgründe für Zeit- / Budgetüberschreitung oder sogar das Scheitern eines Projektes u.a. unrealistische Erwartungen und unklare Anforderungen genannt werden.  

In den verschiedensten Branchen & Industrien (über Telekommunikation, Handel, Versicherungen und mehr), ist es unabdingbar geworden, die relevanten Abläufe für die Digitalisierung in adäquater Tiefe zu verstehen. Nur so lassen sich die entsprechenden Maßnahmen und resultierenden Anforderungen in der benötigten Qualität richtig und vollständig ableiten.

Das Erkennen und Definieren klarer und für alle gleichermaßen verständlicher Maßnahmen im Rahmen der Digitalisierung ist daher essenziell.

Eine effiziente Vermittlung der Anforderungen an die IT-Systeme stellt einen enormen Erfolgsfaktor dar. Doch ohne ein strukturiertes Requirements Engineering (RE) ist das nicht möglich.

Die Methoden des RE helfen Anforderungen in unterschiedlichen Situationen mit beliebigen Fragestellungen systematisch & strukturiert (sowohl klassisch als auch agil) zwischen unterschiedlichen Stakeholdern zu vermitteln. Als Resultat wird so, bei richtiger Anwendung des RE, ein gemeinsames Verständnis bzgl. der Anforderungen zwischen allen Beteiligten (Stakeholdern) erreicht.

In grober Anlehnung an die Aktivitäten des Requirements-Engineerings nach IREB (International Requirements Engineering Board) ist die Anforderungsvermittlung (Rahmenwerk der Anforderungsfabrik, Abb. 1) in fünf Bereiche strukturiert: Ausrichten, Einbinden, Ermitteln, Dokumentieren und Steuern.

Das Rahmenwerk ist eine Erweiterung der RE Methoden nach IREB. Es stellt eine Zusammenstellung von konkreten Methoden, Handlungsempfehlungen und Hilfestellungen dar, die sich im Berateralltag bewährt haben. Die Anforderungsvermittlung ist hierbei in fünf Aktivitätsgruppen eingeteilt, die der Reihe nach durchgeführt werden sollten, bevor bereits Lösungen und neue Technologien besprochen werden. 


Es ist wichtig, zu Beginn eines jeden Projekts (sowie nach jeder Projektphase / Iteration) zu prüfen, ob das Projekt und das Vorgehen korrekt ausgerichtet sind und in die Unternehmensziele einzahlen. Die Erstellung eines Business Cases für das Vorhaben kann schnell die Fragen nach Bedarf, Aufwand und Nutzen beantworten. Weiterhin sollten zu Beginn alle Einflussfaktoren identifiziert sein, die auf den Projektumfang (Scope) einwirken.

Die nächsten Schritte dienen der Bestandsaufnahme (IST-Analyse). Zur Ermittlung der wesentlichen Geschäftsprozesse sind die Menschen in diesen entscheidend. Eine Nichtberücksichtigung von Interessensvertretern (Stakeholdern) erzeugt Risiken, da bestimmte Aspekte nicht berücksichtigt werden könnten. Um diese Risiken zu minimieren, ist die Erarbeitung einer möglichst vollständigen Stakeholderliste notwendig.

Für ein Verständnis über aktuelle und für die Digitalisierung relevante Maßnahmen ist es außer dem notwendig, die Methoden des RE mit einer angemessenen Geschäftsprozess-Modellierung zu erweitern (wir bezeichnen die gezielte Kombination unterschiedlicher Disziplinen als Anforderungsvermittlung). Durch diese Kombination der Methoden des Requirements Engineering und der Geschäftsprozess-Modellierung (in der Aktivitätsgruppe „Dokumentieren“ nach Abb. 1) kann der Kontext, in dem die digitale Transformation stattfindet, transparent gemacht werden.
Gleichzeitig wird ein Austausch zwischen den Stakeholdern initiiert, welcher wiederum zu einer Schärfung des relevanten Kontextes beiträgt. Anschließend ist der Problembereich so vertraut, dass die Anforderungen richtig und vollständig ermittelt und vermitteln werden können.

Die Geschäftsprozessmodellierung mit BPMN kann als erste Analyse zu einem frühen Zeitpunkt Potenziale bei der Digitalisierung aufzudecken.

Ineffiziente und zeitaufwändige Prozesse oder manuelle Schritte können über eine angemessene Visualisierung für alle gleichermaßen transparent und verständlich aufgedeckt werden. Die Geschäftsprozessmodellierung (abstrakte Darstellung von Geschäftsprozessen) liefert darüber hinaus folgende essentielle Informationen und Ergebnisse auf einen Blick:

  1. Welches Ereignis (Auslöser) startet den fachlichen Ablauf?
  2. Was ist das Ergebnis des Ablaufs?
  3. Welche Aufgaben werden/sollen durchlaufen werden?
  4. In welcher Reihenfolge werden/sollen die Aufgaben durchlaufen werden?
  5. Wer sind die Akteure (Stakeholder)?
  6. Welcher Akteur ist wie beteiligt (Transparenz in den Verantwortlichkeiten)?
  7. (Optional) Welche Daten, Informationen werden erzeugt und benutzt?
  8. (Optional) Welche Systeme sind beteiligt?

So entsteht eine übersichtliche Sicht auf den Geschäftsprozess inkl. der notwendigen Abhängigkeiten/Schnittstellen und weiterer Details. Darüber hinaus kann die Geschäftsprozessmodellierung aber auch die Findung von Lösungen, die keinerlei technischen Bezug haben, unterstützen.

Eine gängige und weit verbreitete Notationsform für Geschäftsprozesse ist die „Business Process Model and Notation“ (BPMN). Alle wichtigen Aspekte für das Anforderungsmanagement (Systemkontext, Stakeholder/Akteure, Use Cases und User Storys, Bausteine einer Satzschablone) können bei richtiger Anwendung der BPMN aus einem Geschäftsprozessmodell entnommen und mit den Stakeholdern geteilt werden. Dazu bietet BPMN eine Bibliothek von zielgruppen- und anwendungsfallgerechten Modellierungselementen.

In einer ersten Iteration sollte die Vorgehensweise wie folgt sein:

  1. Hauptpfad eines Geschäftsprozesses modellieren (BPMN-„Happy Path“)
  2. Essenzielle Aspekte im Systemkontext im Hauptpfad identifizieren.
  3. Notwendige Maßnahmen identifizieren und Anforderungen ableiten.

Um die drei Punkte dieser Vorgehensweise greifbarer zu machen und einen kleinen Einblick in die BPMN zu geben, möchten wir ein Beispiel geben. Das unten dargestellte Diagramm zeigt einen vereinfachten Bestellprozess. Der Prozess verdeutlicht, wie die verschiedenen Modellierungselemente der BPMN das Verständnis über den dargestellten Ablauf erhöhen (z.B. „ovaler Kasten“ mit Hand = manuelle Tätigkeit (Task), im Gegensatz zu „ovaler Kasten“ mit Zahnrad = automatisierter Arbeitsschritt (Task)). Die weiteren Bestandteile des Diagramms werden in der darunterliegenden Tabelle „BPMN-RE-Mapping-Tabelle“ erläutert. Dabei steht jedes, mit einer Zahl versehenes BPMN-Modellierungselement für einen essentiellen Aspekt bei der weiteren Detaillierung der Anforderungen.

Schritt 1: Hauptpfad eines Geschäftsprozesses modellieren (BPMN-„Happy Path“)

Schritt 2: Essenzielle Aspekte im Systemkontext identifizieren


Das BPMN-Prozessmodell gemeinsam mit der BPMN-RE-Mapping-Tapelle legt den Grundstein, um im Weiteren notwendige Maßnahmen zu Identifizieren und richtige und vollständige Anforderungen zu ermitteln. Durch eine besondere Visualisierung manueller Aktivitäten können für alle Beteiligten gleichermaßen verständliche Maßnahmen besprochen werden.

Das bedeutet am konkreten Beispiel: Wenn wir im Sinne der Digitalisierung für den oben dargestellten Bestellprozess Optimierungspotenzial suchen, könnten wir uns gezielt die Aktivitäten „Bestellung aufnehmen“ und „Kundendaten in System aufnehmen“ anschauen. Im Dialog mit dem Team würden sich Möglichkeiten geben, diese technisch unterstützt effizienter zu gestalten oder sogar zu automatisieren. 

Schritt 3: Notwendige Maßnahmen identifizieren und Anforderungen ableiten

Die Begriffe aus der Geschäftsprozessmodellierung sollten bei der Formulierung der Anforderungen wiederverwendet werden. So gibt das Diagramm den relevanten Anforderungskontext. Folgende Beispiele lassen sich aus dem Diagramm ableiten:

  •  Klassisch:
    • Falls eine Bestellung durch einen Kunden eingeht, muss der Lieferant die Bestellung annehmen. (siehe 1+2).
    • Bei der Lagerorganisation muss zum Verpacken der Ware, die Brandschutzverordnung bereitliegen. (siehe 4)
    • Sobald die Ware zur Ausgabe bereit steht und eine Rechnung erstellt wurde, muss die Ware ausgegeben werden.
  • Als User Story:
    • Als Lieferant möchte ich Bestellungen annehmen können, um meine Ware verkaufen zu können (siehe 2+3+5+6+7).

Unser Fazit: Im Zeitalter des digitalen Wandels ist ein strukturiertes Vorgehen der Erfolgsfaktor.

Wir können uns der Disziplinen aus dem Requirements Engineering bedienen, wenn diese korrekt und angemessen angewendet werden. Das Rahmenwerk der Anforderungsfabrik unterstützt die Projektbeteiligten dabei, eine Struktur einzuhalten und die passenden Methoden anzuwenden. Insbesondere bei der Digitalisierung von komplexen Prozessen im Unternehmen kann so unmittelbar und zielgerichtet zusammengearbeitet werden.  

Durch die Nutzung der Geschäftsprozessmodellierung, im ersten Schritt die Entwicklung eines „Happy Path“ mit wenigen BPMN Elementen, können alle Akteure, menschliche wie technische, bei der Ermittlung der richtigen und vollständigen Anforderungen berücksichtigt werden. Sämtliche essenziellen Aspekte lassen sich durch Anwendung angemessener Modellierungselemente identifizieren. Es steht eine solide und abgestimmte Datenbasis für den weiteren Projektverlauf und die Anforderungsdetaillierung zur Verfügung.


Stefan Riegels

ist Senior Berater der Anforderungsfabrik GmbH & Co. KG und verfügt über langjährige Berufs-erfahrung auf den Gebieten des agilen und klassischen Anforderungsmanagements und des Business Process Managements (BPM). Er sorgt für abgestimmte Anforderungen, entwirft und optimiert Geschäfts- und IT-Prozesse oder coacht Kollegen.

Jesko Schneider

ist Gründer und Geschäftsführer der Anforderungsfabrik GmbH & Co. KG. Er ist als Berater, Trainer und Coach u.a. im Themenbereich agiles Requirements-Engineering aktiv. In seiner Rolle als Requirements Engineer, Business-/System-Analyst oder Product Owner bedient er stets die Schnittstelle zwischen Business und IT.

Bildnachweise:

Anforderungsfabrik GmbH & Co. KG