AI Trendletter
AI Trendletter
Forschung

Projekt Find lanciert

Konsortium entwickelt „Industrielles Internet“ der Zukunft

von Christian Heyer
 

Bei der erfolgreichen Umsetzung der Vision von Industrie 4.0 kommt einer zügigen weiteren Digitalisierung von Fertigung und Automatisierung eine zentrale Bedeutung zu. Hierfür wird unter anderem eine sichere und effiziente, sich den Anforderungen der jeweiligen Anwendungen automatisch anpassende Kommunikationsinfrastruktur benötigt. Die soll im Projekt Find entwickelt werden, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 4,3 Mio. Euro über eine Laufzeit von drei Jahren gefördert wird.

Die neuartige, adaptive Kommunikationsinfrastruktur muss nicht nur geeignet sein, die Produktionsmaschinen, Produkte und innovativen Datendienste effizient miteinander zu vernetzen, sondern vor allem auch die Einführung neuer industrieller Anwendungen sicher und einfach zu unterstützen. Hierbei stellen unter anderem die zunehmende Verbreitung von Funktechnologien sowie die stetig voranschreitende Konvergenz von Informationstechnologie (IT) und „Operational Technology“ (OT) besondere Herausforderungen dar.

Im Projekt „Find“ - kurz für „Future Industrial Network Architecture“ - haben sich führende Vertreter aus Industrie und Wissenschaft zusammengetan. Sie wollen, basierend auf neusten Netzwerktechnologien aus den Bereichen Industrieautomatisierung, Internet und 5G-Mobilfunk, die Grundlagen für die Zukunft des Industriellen Internets erarbeiten. Neben dem DFKI als Gesamtkoordinator gehören folgende Mitglieder dem Konsortium an: die Robert Bosch GmbH, die Festo AG, das Institut für industrielle Informationstechnik (inIT) der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo, das HMS Technology Center Ravensburg, Bosch Rexroth , die rt-solutions.de GmbH, Siemens, die TU Dresden und die Universität Passau.

Automatische Netzwerksteuerung

Ziel des Projektes Find ist die Entwicklung einer Gesamtarchitektur für das zukünftige Industrielle Internet. Dazu zählt insbesondere eine Netzwerksteuerung, die weitgehend automatisch die Anforderungen der industriellen Anwendungen auf die unterschiedlichen Ressourcen und die Möglichkeiten der Vernetzung abbilden und überwachen kann. Manuelle Eingriffe bei der Konfiguration eines Netzes sowie im laufenden Betrieb sollen damit auf ein Minimum reduziert werden. Zudem soll es möglich werden, automatisiert – selbst über verschiedene Vernetzungstechnologien hinweg – definierte Dienstgüten auf einer Ende-zu-Ende-Basis zur Verfügung zu stellen.

Auf diese Weise lassen sich z.B. komplexe, verteilte Steuerungsarchitekturen sehr flexibel und effizient realisieren, wobei die zugrunde liegende Komplexität für den Anwendungsentwickler und für den Fabrikbetreiber weitestgehend abstrahiert wird. Ausfälle einzelner Ressourcen, beispielsweise einer Steuerungshardware, können automatisch kompensiert werden. Das reduziert unnötige Stillstandzeiten von Anlagen bzw. Maschinen und erhöht somit die Effektivität der gesamten Produktion.

Nahtlose Migration angestrebt

Neben zukünftigen und aktuell in der Entwicklung befindlichen Systemen, wie „Time-Sensitive Networking“ (TSN) oder 5G-Mobilfunk, sollen auch die zahlreichen schon vorhandenen industriellen Kommunikationstechnologien und -geräte einfach eingebunden werden können, um eine nahtlose Migration zu ermöglichen.

Koordiniert wird das Konsortium von Professor Hans Schotten, dem wissenschaftlichen Direktor am DFKI und Leiter des Forschungsbereiches „Intelligente Netze“. Der Wissenschaftler steckt die Projektziele wie folgt ab: „Wir möchten, durch Kombination und Integration bestehender Netzwerktechnologien eine neuartige und zukunftssichere Netzwerksteuerung entwickeln, die zugleich flexibel, sicher und effizient in der Anwendung ist.“

Angriffssicherheit gefragt

Der zunehmende Vernetzungsgrad wird generell auch die Anforderungen von Vernetzungslösungen an die Angriffssicherheit der entwickelten Systeme deutlich erhöhen. Entsprechend wird Find diesem Thema besondere Aufmerksamkeit widmen – und schon in der Entwurfsphase spezielle Sicherheitskonzepte entwickeln und integrieren.

Eine weitere zentrale Anforderung wird die Nutzerfreundlichkeit sein. Neue industrielle Vernetzungstechnologien werden nur dann verbreitet Akzeptanz finden, wenn sie auch ohne spezialisierte Netzwerkexperten eingesetzt werden können. Eine automatische Konfiguration, Optimierung und Überwachung der Konnektivität soll daher Teil der Find-Lösung werden. Zu den Hintergründen nimmt Prof. Schotten im folgenden Interview Stellung.


Mit AI das volle Potenzial von Industrie 4.0 ausschöpfen

Interview mit Professor Hans Schotten, Leiter des Forschungsprojektes Find

Herr Prof. Schotten, die effiziente Vernetzung von Komponenten, Anlagen und Assistenzsystemen in der Smart Factory erfordert ohne Frage eine Intelligente Netzwerksteuerung. Woran hapert es heute in der Praxis?

Professor Hans Schotten:Die industrielle Kommunikation ist heute durch ein Nebeneinander unterschiedlicher, teilweise anwendungsspezifischer Kommunikationssysteme geprägt, die oft nicht miteinander verbunden sind und keine durchgängige Vernetzung von Sensoren, Aktuatoren, Kontrolleinrichtungen und Diensten zulassen. Um die Effizienz und Flexibilität in der Produktion zu erhöhen, Produkte, Produktion und Dienste verknüpfen zu können und insgesamt Industrie 4.0 Visionen umsetzen zu können, wird dies aber nötig werden.

Das Industrielle Internet, wie es im BMBF-Projekt Find adressiert wird, soll dafür die Grundlage bilden. Ziel ist, dass ein durchgängiges Industrielles Internet gleichzeitig unterschiedlichste Dienste unterstützen kann. Hierzu gehören extrem sicherheitskritische Dienste wie Nothalt-Schalter, hochdatenratige und latenzkritische industrielle Videoinspektion oder Augmented-Reality-Anwendungen zur Unterstützung von Wartungstechnikern – aber auch Motor- und Robotersteuerungen, die extrem latenzarme oder gar deterministische Datenkommunikation benötigen.

Zusätzlich wird ein steigendes Volumen weniger anspruchsvoller Dienste unterstützt werden müssen. Eine intelligente Netzwerksteuerung wird benötigt, um auf der gegebenen Netzwerkinfrastruktur, die aus unterschiedlichsten Komponenten bestehen kann, diesen extrem heterogenen, sich oft ändernden und sehr anspruchsvollen Mix von Datenverbindungen sicherzustellen. Derartige Lösungen gibt es heute noch nicht. Heutige Lösungen sind oft statisch, vernetzen nur Teile der industriellen Anwendungen und müssen oft manuell umkonfiguriert werden. Damit lässt sich das volle Potenzial von Industrie 4.0 nicht ausschöpfen.

Ziel ist neuartige und zukunftssichere Netzwerksteuerung, die zugleich flexibel, sicher und effizient in der Anwendung ist. Welche Rolle kann AI dabei spielen – insbesondere auch, wenn man die notwendige Zuverlässigkeit bedenkt?

Ziel der Netzwerksteuerung ist, die Datenkommunikation der unterschiedlichen industriellen Anwendungen entsprechend deren Anforderungen auf der vorhandenen Vernetzungsinfrastruktur zu implementieren. Dies soll möglichst automatisch und dynamisch geschehen, da sich die Datenkommunikationsaufkommen der Anforderungen regelmäßig ändern.

Anforderungen sind hierbei nicht nur Bandbreite, sondern auch vorgeschriebene Zuverlässigkeit und Redundanz. Dies sicherzustellen wird Aufgabe der AI sein. Muster im Verkehrsaufkommen, Änderungen in der Verfügbarkeit der Infrastruktur, planmäßige und unvorhergesehene bzw. unbekannte Änderungen der Kommunikationssituation müssen automatisch erkannt und klassifiziert werden und – wenn möglich prädiktiv – Gegenmaßnahmen eingeleitet und überwacht werden. Dies ist das typische Anwendungsfeld von AI in intelligenten Netzwerksteuerungen.

Eine automatische Konfiguration, Optimierung und Überwachung der Konnektivität soll Teil der Find-Lösung werden. Wo können Sie dabei bereits auf etablierten Standards und Normen aufsetzen – und wo müssen Sie improvisieren? Arbeiten Sie dabei auch mit amerikanischen Herstellern wie Cisco, Microsoft oder IBM zusammen?

Natürlich haben wir Standardisierung im Auge. Die Beiträge zur Architekturentwicklung für ein zukünftiges Industrielles Internet, die wir aus Find erwarten, werden zumindest teilweise für unterschiedliche Standardisierungsgremien relevant sein und von den Partnern dort eingebracht werden. Bezüglich der Test- und Evaluierungsmethodik und „Use Cases“ orientieren wir uns auch an den international relevanten IIC-Arbeiten. Details der eigentlichen Steuerungsalgorithmen werden allerdings üblicherweise nicht standardisiert.

Das Find-Projekt wird vom BMBF gefördert – und ist daher von deutschen Playern dominiert. Allerdings können alle Partner auf umfangreiche Forschungsnetzwerke in der europäischen und internationalen Forschungsszene zurückgreifen, und viele Partner sind selbst im Bereich der AI-basierten Netzwerksteuerungsalgorithmen viele Jahre aktiv. Tatsächlich arbeitet meine Gruppe am DFKI seit Jahren in europäischen Projekten auch mit amerikanischen und israelischen Partnern an AI-basierten Algorithmen für Netzwerkoptimierung und -sicherheit.

Wie können die entstehenden Systeme möglichst robust und unanfällig für Störungen gemacht werden, so wie es für den industriellen Einsatz zwingend notwendig ist?

Das Netz wird SDN-basiert sein, denn beim Software-Defined-Networking werden wir umfangreiche Möglichkeiten haben, die Datenkommunikation zu beeinflussen. Zusätzlich werden Konzepte wie „Network Function Virtualisierung“ (NFV) und industrie-spezifische „Control Function Virtualisierung“ (CFV) in der Netzwerksteuerung ein hohes Maß an Netzwerk-Resilienz garantieren können. Dazu gehört beispielsweise die frühzeitige Erkennung von Herausforderungen und die prädiktive bzw. präskriptive Implementierung von Gegenmaßnahmen sowie deren Erfolgskontrolle.

Auf welche Anforderungen an den Datenschutz und an die Datensicherheit gehen Sie bei Find ein? Ist der rudimentäre Rechtsrahmen (z.B. in Bezug auf das Eigentum an den Daten) ein Thema in diesem Projekt?

Im Rahmen er Entwicklung einer Gesamtarchitektur spielen Datenschutz und Datensicherheit natürlich eine große Rolle. Und natürlich verfolgt Find den Security-by-Design-Ansatz. Besondere Bedeutung kommt in Find dem Schutz der Netzwerksteuerungsinfrastruktur und der dafür nötigen Signalisierung zu. Auch werden Aspekte des Schutzes oder der Verschleierung von Metadaten betrachtet.

Weiterhin sind Angriffe auf das Netz ein wichtiges Beispiel für die oben erwähnten Herausforderungen, auf die eine intelligente Netzwerksteuerung reagieren können soll. Aus Anwendersicht ist das Thema Datenschutz von schnell steigendem Interesse, da Datenschutztechnologien Voraussetzung für viele interessante Kombinationen von Produkten und Diensten sind. Die hierfür benötigten technischen Enabler werden in Find betrachtet und integriert.

Herr Prof. Schotten, vielen Dank für das Interview!


Christian Heyer

ist Leiter Unternehmenskommunikation beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern.

Bildnachweise:

DFKI, Shutterstock