AI Trendletter
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Praxis

AI ist keine Magie

Ausgaben verwalten: Ein Job für „Artificial Intelligence“

von Jochen Werner
 

Speziell im Spend-Management (Einkaufs- bzw. Beschaffungscontrolling) ist der Einsatz von Artificial Intelligence vergleichsweise neu. Erst die Kombination aus einer stark gewachsenen Datenbasis und der mittlerweile verfügbaren hohen Rechenpower ermöglicht Lösungen, welche einen echten Mehrwert für Unternehmen bieten. Basis hierfür ist ein tiefes Verständnis der Funktionsweisen von AI – Machine Learning und Deep Learning – und auch für deren Einschränkungen.

Zwei Herangehensweisen, ein Ziel: Automatisierung

Wären Machine-Learning-Systeme Philosophen, so würden sie sich vielleicht auf Sokrates berufen und ergänzen: „Ich weiß, dass ich nur so viel weiß, wie mir beigebracht wurde.“ Denn Machine Learning beruht auf der Einhaltung von durch Anwender definierte Regeln. Je mehr solche Regeln definiert werden, desto intelligenter wird das System.

Im Spend-Management eignet sich Machine Learning besonders gut für die Normalisierung von Datensätzen. Ein Unternehmen stellt beispielsweise Regeln auf, was geschehen soll, wenn in einem Datensatz ein Name auftaucht, der nicht als Lieferant im System hinterlegt ist. Allein für das Unternehmen IBM sind viele andere Varianten denkbar – International Business Machines, Intl Bus Machines oder IBM Deutschland – meinen aber denselben Lieferanten.

AI-Einsatz im Spend-Management

Deep Learning hingehen beruht nicht nur auf Regeln, sondern auf einem selbstentwickelten neuronalen Netz, das auf Wortvektoren basiert. Die Systeme werden darauf trainiert, ganze Sätze und ihren Kontext zu verstehen. Das Prinzip ähnelt der Funktionsweise des menschlichen Gehirns.

Google hat zwanzig Jahre damit verbracht, Milliarden von Suchvorgängen zu analysieren. Ziel des Forscherteams war es, anhand noch so kryptischer, missverständlicher oder falsch-buchstabierter Suchanfragen Rückschlüsse darauf zu ziehen, was der Suchende in Erfahrung bringen wollte.

In diesem Projekt, genannt „Word2vec“, baute Google mithilfe von Wortvektoren ein neuronales Netz auf. Dieses Netz kann nicht nur die Bedeutung von Buchstaben und Wörtern ableiten, sondern auch aus ihrem Kontext und ihrer Beziehung zu anderen Wörtern Erkenntnisse gewinnen. Deep Learning funktioniert auf die gleiche Weise.

Ein Beispiel aus dem Spend-Management: Eine Rechnung hat die Betreffzeile „Plastik, 500ml, Evian“. Das intelligente Deep-Learning-System erkennt automatisch auf Basis des Kontexts und seiner Erfahrung, dass es sich um Wasser in Flaschen handelt. Selbst unbekannte Datensätze können so anhand bekannter und ähnlicher Wörter oder dem Abstand zu anderen Wörtern im Text korrekt und automatisiert klassifiziert werden – ohne, dass dazu eine Regel notwendig ist.

AI benötigt menschliche Hilfe

Mittlerweile haben wir genug Wissen in den Systemen, sodass Mitarbeiter Aufgaben in nur wenigen Tagen erledigen können, die früher Monate gedauert hätten. Im Spend-Management sind wir so weit, dass intelligente Systeme bereits 80 Prozent der Ausgabedaten genau klassifizieren können.

Ein durchschnittlicher Einzelhandelsbetrieb bezieht Waren und Leistungen von rund 2.000 Lieferanten. Damit können im Extremfall bis zu fünf Millionen Rechnungen pro Jahr anfallen, die normalisiert und klassifiziert werden müssen. Was manuell kaum zu bewältigen ist, kann man mit der entsprechenden AI innerhalb weniger Wochen abarbeiten.

Leistung wächst mit Kontrolle, Daten und Erfahrung

Um herauszufinden, ob die Maschine lernt und besser wird, braucht es Leistungsindikatoren, die in regelmäßigen Abständen gemessen werden: von 50 Prozent richtiger Auswertungen über 75 zu 85 Prozent und so weiter. Aus der Sicht eines Anbieters intelligenter Systeme messen wir bei Coupa, inwieweit wir mithilfe von künstlicher Intelligenz unsere „Service Level Agreements“ (SLAs) mit unseren Kunden erfüllen können. Es ist bereits ein großer Erfolg, wenn wir den Automatisierungsanteil an klassifizierten Ausgabedaten um zwei Prozent steigern können.

Je mehr Daten in das System eingegeben werden, umso intelligenter wird es. Denn jeder neu bearbeitete Datensatz wird in Wissen umgewandelt. AI hört nicht bei der Bearbeitung von Datensätzen auf. Intelligente Systeme sind sogar fähig, die Kommunikation mit Lieferanten teilweise zu übernehmen. Sprachgesteuerte Bots können Rechnungen oder Bestellungen annehmen oder fehlerhafte Liefermengen eigenständig korrigieren. Das System passt sich immer besser an die unternehmensinternen Richtlinien an und lernt von der kontinuierlichen Interaktion mit Anwendern und Lieferanten.

Wissenslücken schließen

Nach und nach wird die künstliche Intelligenz mehr und mehr Prozesse im Spend-Management optimieren können. Die Fehlerrate wird auf Dauer reduziert und Bearbeitungszeiten werden verkürzt. Doch auch wenn das System mit wachsender Erfahrung immer mehr Wissenslücken schließt, werden wir nie an einen Punkt kommen, an dem die Maschine alle Aufgaben alleine erledigt.

AI ist keine Magie, aber wir können herkömmliche Prozesse massiv beschleunigen. Bei Coupa haben wir sieben Jahre gebraucht, um unsere Maschine zu trainieren, und sechs Jahre, um genügend Daten zusammenzutragen. Doch jetzt haben wir eine künstliche Intelligenz, die mithilfe von Machine Learning und Deep Learning in der Lage ist, Ausgabedaten automatisiert zu klassifizieren.


Jochen Werner

ist Regional Vice President Sales Central Europe bei Coupa Software, einem US-Anbieter von Software für das Spend-Management mit deutscher Niederlassung in Frankfurt/Main.

Bildnachweise:

Coupa Software, Pixabay