AI Trendletter
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Forschung

Zehn prägende KI-Forscher geehrt

GI lanciert „Hall of Fame“ für deutsche KI-Szene

von Frithjof Nagel

Die Gesellschaft für Informatik kürte im Mai zehn prägende Köpfe und Technologien der deutschen KI-Forschung in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufenen Wissenschaftsjahr 2019 – Künstliche Intelligenz.

Im Rahmen des Projekts „#KI50: Künstliche Intelligenz in Deutschland – gestern, heute morgen“, das die Gesellschaft für Informatik e. V. (GI) gestartet hat, wählte eine mit insgesamt 18 KI-Expertinnen und -Experten besetzte interdisziplinäre Jury „zehn prägende Köpfe“ und „zehn bedeutende Technologien“ der deutschen KI-Geschichte aus. Die fast siebenstündige Beratung fand Mitte Mai – passend zum Anlass – im Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft in Berlin statt.

Mit #KI50 will die GI in Anlehnung an ihr 50-jähriges Bestehen nicht nur dazu anregen, über die deutsche KI-Geschichte zu reflektieren, sondern auch einen Blick nach vorne zu wagen. Außerdem will die GI das komplexe Thema einer breiten Öffentlichkeit besser zugänglich machen. Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Prägende Köpfe der deutschen KI-Geschichte

In der Kategorie „zehn prägende Köpfe der deutschen KI-Geschichte“ wurden folgende ausgezeichnet (jeweils mit Begründung der Jury):

Elisabeth André (Mensch-Maschine-Interaktion, Multiagentensysteme)

Elisabeth André ist seit über zwei Jahrzehnten einer der zentralen Köpfe der deutschen KI-Forschung in den KI-Teilgebieten Mensch-Maschine-Interaktion und Multiagentensysteme mit dem Schwerpunkt kognitive Assistenten und virtuelle Agenten.
Sie ist eine Vorreiterin bei der Erforschung von neuen technischen Methoden der Interaktion von Mensch und Computer zur Vereinfachung des Umgangs mit technischen Geräten für den Menschen.
In interdisziplinären Projekten arbeitet sie an der Sozialkompetenz von technischen Systemen. Sie ist gewähltes Mitglied in den Akademien der Wissenschaft Leopoldina und Europaea.

Wolfgang Bibel (Wissensrepräsentation und Schlussfolgern)

Wolfgang Bibel ist einer der ersten Wissenschaftler, die in Deutschland auf dem Gebiet der KI geforscht haben, und zählt noch heute zu den international bekanntesten deutschen KI-Forschern.
Er hat unter anderem die erfolgreiche Forschungsgruppe Intellektik/Automated Reasoning an der TU München gegründet und hat mit seinen Arbeiten im Bereich des automatischen Beweisens in München und Darmstadt die KI geprägt.
Er hat zahlreiche Organisationen der deutschen und internationalen KI-Forschung mitgegründet, bspw. den Fachbereich KI der GI, die Zeitschrift KI und die europäische Dachvereinigung ECCAI/EURAI.

Susanne Biundo-Stephan (Planen)

Susanne Biundo-Stephan ist einer der zentralen Köpfe der deutschen KI-Forschung zu automatisierter Planung („AI planning“) mit dem Schwerpunkt auf hierarchischem Planen und kognitiven technischen Systemen.
Beispielsweise war sie Initiatorin und Koordinatorin des „European Network of Excellence in AI Planning“ (PLANET).
Sie war Sprecherin des Sonderforschungsbereichs/Transregios 62, ist Fellow des European Coordinating Committee for Artificial Intelligence (ECCAI) und Mitglied von AcademiaNet.

Gerhard Brewka (Wissensrepräsentation und Schlussfolgern)

Gerhard Brewka etablierte als einer der Ersten das KI-Teilgebiet der Wissensrepräsentation und des Schlussfolgerns in Deutschland.
Er hat grundlegende Arbeiten zu dem sogenannten Non-Monotonic-Reasoning geleistet, die für die maschinelle Verarbeitung von teilweise inkonsistentem Wissen oder für das automatische Schließen unter fehlenden Informationen genutzt werden.
Er war Organisator einschlägiger Tagungen zu KI-Themen in Deutschland und war in führenden Funktionen bei internationalen wissenschaftlichen Organisationen wie der ECCAI (heute EurAI, auf europäischer Ebene) oder der IJCAI (auf weltweiter Ebene).

Otthein Herzog (Multiagentensysteme/Bildverstehen/Anwendungen)

Otthein Herzog hat den Aufbau der deutschen KI-Forschungs- und Anwendungslandschaft mitgeprägt.
Bei IBM hat er das Institut für wissensbasierte Systeme in Böblingen geleitet, welches das seinerzeit größte KI-Forschungsprojekt LILOG verantwortet hatte. An diesem Forschungsprojekt haben viele der deutschen KI-Forscher mitgearbeitet.
Mit seiner Arbeitsgruppe an der Uni Bremen hat er zahlreiche erfolgreiche Anwendungen in der KI entwickelt, u. a. zu semantischer Bildanalyse, Expertensystemen, Maschinellem Lernen, Planen und Konfigurieren sowie Multiagentensystemen.

Bernhard Nebel (Wissensrepräsentation und Schlussfolgern/Planen)

Bernhard Nebel ist einer der Pioniere der deutschen KI-Forschung und hat sich insbesondere mit Wissensrepräsentation und Schlussfolgern sowie automatischem Planen beschäftigt.
Er hat es in außergewöhnlicher Weise verstanden, Theorie und Praxis zusammenzubringen.
So ist er beispielsweise für seine Beiträge zur Handlungsplanung, zum räumlichen Schließen und zur Robotik bekannt geworden und wurde mit seinem Team der Uni Freiburg (CS Freiburg) 1998, 2000 und 2001 Weltmeister in der Klasse der mittelgroßen Roboter beim RoboCup.

Bernhard Schölkopf (Maschinelles Lernen)

Bernhard Schölkopf wurde aufgrund seiner Forschung zu Maschinellem Lernen und speziell Kernel-Methoden schon früh zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Kybernetik in Tübingen berufen.
Hier hat er einflussreiche, tiefgehende Forschung verfolgt, unter anderem auch zur Anwendung in der algorithmischen Biologie.
Er gehört zu den meistzitierten Informatikern aus Deutschland (h-Index: 130) und ist seit 2016 Mitglied der Leopoldina.

 

Jörg H. Siekmann (Wissensrepräsentation und Schlussfolgern)

Jörg Siekmann war in den 1980er-Jahren und danach maßgeblich am Aufbau der KI-Community in Deutschland beteiligt: Er war Mitgründer des DFKI, Mitinitiator der GWAI (Vorläufer des GI-Fachbereichs KI) sowie der Fachgruppe KI in der GI.
In der Forschung war er auf dem Gebiet des automatischen Beweisens international prägend. So hat er bspw. die erste IJCAI 1983 in Deutschland (Karlsruhe) organisiert.
In der Lehre hatte er viele Studentinnen und Studenten für die KI schon zu einer Zeit, in der KI noch nicht „en vogue“ war.

Wolfgang Wahlster (Mensch-Maschine-Interaktion/Dialogsysteme)

Wolfgang Wahlster ist bereits seit Anfang der 80er-Jahre ein führender Kopf der KI-Forschung und hat 1988 gemeinsam mit Kollegen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) gegründet, welches er bis 2019 auch geleitet hat.
Bahnbrechend waren seine Arbeiten und Visionen zu Sprachdialogsystemen: Als einer der Ersten hat er eine sprecherunabhängige Spracherkennung für den Einsatz in Ad-hoc-Dialogsystemen gefordert und erforscht.
Mit dem DFKI war er maßgeblich an der Sprachassistentenforschung beteiligt.

Stefan Wrobel (Maschinelles Lernen)

Stefan Wrobel ist Experte für Maschinelles Lernen, der dieses schon früh in Anwendungen gebracht hat.
Durch sein Engagement in der GI, für die Zeitschrift Künstliche Intelligenz sowie die Fachgruppe „Knowledge-Discovery, Data Mining und Machine Learning“ hat er wesentlich dazu beigetragen, in den 90er-Jahren Data Mining in Deutschland zu etablieren.
Darüber hinaus ist er Sprecher der Fraunhofer-Allianz Big Data und KI sowie des Fraunhofer Forschungszentrums Maschinelles Lernen.

 

Der Jurysitzung war eine dreiwöchige offene Nominierungsphase vorausgegangen, in der über 80 Personen vorgeschlagen wurden, aus denen die Jury wählen musste. Bereits verstorbene Persönlichkeiten wurden ausgenommen und sollen im Verlauf des Jahres in einer gesonderten Auszeichnung geehrt werden.

Bedeutende Technologien aus Deutschland

Als Technologien der Kategorie „zehn bedeutende Technologien der deutschen KI-Geschichte“ wurden darüber hinaus ausgezeichnet:

  • autonome Systeme & autonomes Fahren
  • erfahrungsbasierte Systeme
  • evolutionäre Algorithmen und Evolutionsstrategien
  • Strategien für das Maschinelle Lernen
  • Data Mining Toolkit
  • Konfiguration
  • automatisches Beweisen / Deduktionssysteme
  • Dokumentenanalyse
  • Wissensrepräsentation
  • automatische Sprachverarbeitung: Dialogsysteme

Weitere Hintergründe zu den ausgezeichneten Technologien und den beteiligten Personen finden Sie hier.

KI-Diskurs in der Fach-Community und darüber hinaus anregen

Prof. Dr. Ingo Timm (Vorsitzender der #KI50-Jury) und Privat-Dozent Dr. Matthias Klusch sehen als Sprecher des GI-Fachbereichs Künstliche Intelligenz (FBKI) in den Auszeichnungen vor allem einen Diskursbeitrag zur deutschen KI-Geschichte: „Wir wollen uns mit #KI50 ganz explizit nicht dem Anspruch verschreiben, ein unumstößliches Top-10-Ranking zu erstellen oder ein Geschichtsbild der KI zu zementieren. Wir wollen unsere Listen als Diskussionsbeiträge zur Disposition stellen. Insbesondere soll #KI50 dazu anregen, über die lange Tradition der KI in Deutschland zu reflektieren und vielleicht einige noch nicht so allgemein bekannte Erfindungen und Personen der deutschen KI-Geschichte zu entdecken.“

Die von der GI berufene Jury bestand aus KI-Expertinnen und -Experten aus Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Journalismus. Die Jury selbst war paritätisch mit je neun Frauen und Männern besetzt. Allerdings haben es in der Kategorie „zehn prägende Köpfe“ lediglich zwei Frauen auf die Liste geschafft.

GI-Vizepräsidentin und Jurymitglied Christine Regitz sieht darin einen Ansporn für die Zukunft: „Wir bedauern, dass sich unter den ausgezeichneten Köpfen lediglich zwei Frauen befinden. Die Auswahl reflektiert den bis heute anhaltenden Mangel an Frauen in der Informatik. Im Sinne der GI-Satzung, welche die faktische Gleichstellung von Frauen in der IT fordert, muss das Ergebnis Ansporn sein, die KI-Geschichte zusammen mit mehr Frauen fortzuschreiben.“


Frithjof Nagel

ist Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gesellschaft für Informatik e. V. (GI).

Bildnachweise:

GI, Leonard Wolf, Nora Bibel, Jim Rakete